Regen – Tlalocs Fluch und Gnade Peter Berresford Den meisten Lesern wird die besondere Veranlagung Amerikas für bedrohliche Wetterphänomene bewusst sein, sie wurden durch Hollywoods „Twister“ in unsere Wohnzimmer gebracht und können dort jederzeit auch im Internet abgerufen werden. Es steht im Gegensatz zur Erwartung derer, die sich mit dem Kakteen-Hobby beschäftigen und glauben, wenn sie nach Amerika reisen, dann lassen sie den grauen, kalten Himmel Europas hinter sich und tauchen wieder auf unter den komfortablen Wetterbedingungen einer warmen Sonne. Meine erste diesbezügliche Erfahrung in Mexiko kam einem Schock gleich, als wir eines frühen Abends Mitte März in einem Platzregen landeten. Monterreys Straßen waren danach nicht einfach nur nass, sondern schlammig infolge von Straßenbaumaßnahmen und wir waren zudem konfrontiert mit der Herausforderung ein Hotel zu finden; unmöglich – da alle Zimmer wegen einer großen Konferenz gebucht waren. Wir verloren alle Hoffnung im Stadtzentrum und fanden schließlich ein angenehmes Haus in den äußeren Bezirken der Stadt. Unsere Erkundigung ergab, dass es sich um die Sorte Hotel handelte, wo man Zimmer stundenweise zahlt… Der Hintergrund einer Reise nach Südtexas Ende Mai 2015 war unter anderem, endlich die Suche nach Echinocereus berlandieri in seinem Lebensraum abzuschließen. Im Jahr 2011 hatten wir diese Pflanze im Santa Ana Wildlife Refuge in Gesellschaft eines Fish & Wildlife Rangers gesucht und folgten dem Rat von Chris Best und der Publikation von BLUM & FELIX (2007). Wir waren ein paar Wochen zu spät! Die ganze Population war von einem Bach, der den Bereich bis zu einer Höhe von einem Meter überschwemmt hatte, zerstört worden – selbst die Opuntien hatten diesen Sturm nicht überlebt. Ein weiterer Standort von E. berlandieri ist Griffin Island in der Mündung des Nueces River. Aber als wir uns der Örtlichkeit näherten, wurde es offensichtlich, dass der Zugang nicht möglich war. „No access“-Schilder waren vor jedem Zugang zur Insel aufgebaut. Zum Ende der Woche wurde die Niederschlagsmenge in Corpus Christi für den Monat Mai mit dem Rekordmaß von 364 Liter/m2 angegeben. Wieder einmal scheint es sehr wahrscheinlich, dass ein Lebensraum von E. berlandieri Opfer einer Überschwemmung wurde. Mitte Juni 2009 verbrachten wir einen Morgen in den Hügeln nahe Esmeralda, Coahuila. Die Sonne, die durch eine leichte Brise erträglich war, bildete sehr angenehme Bedingungen, um Kakteen zu suchen. Schon am frühen Nachmittag gab es eine merkliche Anhäufung von Wolken (Abb. 1) und zu der Zeit, als wir gerade in Esmeralda ankamen, öffnete der Himmel seine Schleusen und es war schwierig das Auto durch das auf der Straße dahin schießende Wasser zu entladen (Abb. 2). Das Timing dieser Sommergewitter neigt dazu, einem Muster zu folgen, in dem sie sich in den frühen oder späten Nachmittagsstunden entladen. Dies sollte man bei der Planung bedenken, wenn man im Sinn hat, Abenteuer auf vielen Kilometern Staubstraße zu suchen. Etwa eine Woche später fuhren wir bei Cerro El Cobre zwischen Mazapil und Concepción del Oro auf einer alten gepflasterten Minenstraße. Es war etwa halb vier und wir konnten die Berge sehen, die bereits begannen, sich hinter dunklen Wolken zu verstecken (Abb. 3). Der Sturm brach los, als wir Concepción del Oro passierten und bei unserem Aufstieg entlang einer Passstraße gerade eine Haarnadelkurve erreichten. Die Sicht war sehr schlecht durch den dichten Regen, der einen uns entgegenkommenden Fluss auf der linken Straßenseite erzeugte. Auf der rechten Seite war der Abhang – es gab keine Sicherheitsbarrieren! So klammerte sich der Gegenverkehr an die trügerische Sicherheit der Wasserlinie, während wir in der Kurve hingen ... Und, lernen wir daraus, dass man E. parkeri subsp. mazapilensis an einem Sommernachmittag in unseren Gewächshäusern (Beschattung vorausgesetzt) hin und wieder reichlich bewässern sollte? Bevor wir uns einigen Pflanzen in der Sierra del Carmen zuwenden, möchte ich eine letzte Begegnung mit Tlaloc, dem Regengott der Azteken, in Erinnerung rufen. Als wir am 23. April 2015 unser Matehuala Hotel um ca. 20:00 Uhr erreichten, wurde diese Gottheit hyperaktiv und verwandelte Dächer in Wasserfälle, Sturm schüttelte die Autos auf der Straße durch und die Blitze beleuchteten Kabel und die Dachlandschaft (Abb. 4). Als ich dann im Hotel eine Dusche nahm, sah ich ein Rohr in Augenhöhe; Regenwasser ergoss sich über meinen Kopf – von woher kann ich nicht sagen! Das sind die Unannehmlichkeiten, welche der Regen dem Menschen bringen kann, aber wie steht es dabei um die Kakteen? Wie meistens, wenn ich nach Monterrey fliege, fahre ich nach der ersten Nacht nach Norden zur Sierra del Carmen. Dies ist so natürlich, wie alle paar Jahre neue Taxa entstehen! Die Veränderungen, die stattfinden, sind bereits bei BERRESFORD (2015) dokumentiert, doch ich möchte mich hier auf die Auswirkungen des Regens auf die Echinocereen in dieser Region konzentrieren. Regen ist natürlich eine lebensspendende Kraft für die Wüstenpflanzen, zur gleichen Zeit löst und transportiert er Nährstoffe und stellt beides zusammen dem Schwellen und Wachsen der Pflanzenkörper zur Verfügung. Ich kann mich an den Besuch dieses Lebensraums Anfang April 2014 erinnern. Was auch immer an Regen im März gefallen war, war nur eine dunkle Erinnerung und große Flächen waren vom Feuer entblößt, das oft sämtliche Kakteen verzehrt hatte und sie an anderen Stellen stark versengt und beschädigt zurückließ. Die Pflanzen waren geschrumpft durch den Wassermangel und in vielen Fällen war der Körper durch einen Wald von Stacheln verdeckt. In geeigneter Weise kann man die Studie über die Auswirkungen des Regens in diesen Bergen mit E. carmenensis beginnen. Ich kann mich entsinnen, dass die Suche nach dieser Pflanze ziemlich problematisch war, da der Lebensraum in Echinocereus (BLUM et al. 1998) als „steinige Hügel mit Wiesen“ beschrieben ist. Ich vermute, dass „Wiesen“ keine exakte Übersetzung der richtigen Bezeichnung ist. Bei unserer Suche nach Wiesen fanden wir nichts – am ehesten kam dem etwas nahe, das man vielleicht Grasfläche nennen könnte, aber es gab keine Spur von dem gesuchten Taxon an jenen Stellen. Ich denke „steinige Hänge“ könnte eine genauere Beschreibung aller gefundenen Standorte sein. Entsprechend war unsere erste Sichtung in der Regenzeit. Zwar gab es keine Blüten, aber am 18. März wurden Knospen auf einer Reihe von Pflanzen gefunden. Was mir auffiel, war die Verdunkelung der Farbe der Areolen, wenn diese nass sind (Abb. 5). Zum Vergleich dient eine Aufnahme in Blüte vom 1. April (Abb. 6). In enger Verbindung mit E. carmenensis fand ich die nächste Pflanze zusammen mit Paul Hoxey etwa Mitte Juni 2009, das war drei Jahre, bevor diese abschließend als E. blumii beschrieben wurde. Sie war zunächst ein Rätsel für uns, vor allem, da wir nur die Bedornung und die trockenen Überreste einer kleinen Blüte etwa auf halber Höhe des Stammes fanden (Abb. 7). Doch verriet es uns genug, sie in der Sektion Echinocereus zusammen mit E. chloranthus und E. viridiflorus unterzubringen. Es ist überraschend, dass diese Pflanze solange unbeschrieben blieb, zumal am Typstandort ein farblich so gut unter scheidbarer Fels zutage tritt. Jedoch tritt dieser Kaktus sporadisch in diesen Hügeln auf und ist nicht auf diese Art von Gestein beschränkt. Im Jahr 2014 hatten diese Pflanzen eine lange Durststrecke überlebt, dies war offensichtlich durch die relative Nähe der Areolen einer blühenden Pflanze (Abb. 8). Wenn man sich der Sierra del Carmen von Südosten nähert, erreicht man die südöstliche Verbreitungsgrenze des E. dasyacanthus in Coahuila. Da man sich am Rande der Verbreitung befindet, würde man erwarten, die Pflanze sei schwer zu finden, aber selbst so weit südlich wie nahe La Babia ist sie häufig in den Hügeln und auf der Ebene. Unter der züchterischen Obhut im Gewächshaus können diese Pflanzen eine leichte Schrumpfung im Winter erfahren, je nachdem, wie „hart“ sie kultiviert werden. Doch das mexikanische Klima ist sehr viel rauer und vergleichbare Pflanzen, die einen trockenen Frühling erleben, unterscheiden sich von denen, die gerade erst eine Regendusche gehabt haben, nur dadurch, dass jene zwei Wochen danach sich nicht durch größeren Abstand zwischen den Areolen infolge des Aufquellens der Körperzellen abheben, sondern durch einen stärker fortgeschrittenen Blütenansatz (Abb. 9 trocken und Abb. 10 nass). Wenn Sie noch nie einen richtigen Guss im Land der Kakteen erlebt haben sollten, verpassen Sie eine der Überraschungen des Lebens. Natürlich wird es kaum angenehm klingen, vom Wandern im kalten Regen zu hören, besonders wenn er auf Ihren Körper hämmert und sich Ihre Hosen mit kaltem Wasser vollsaugen. Aber das ist die Natur dieser Gewitter und sie gehen schnell vorbei und was bleibt, kann wirklich schön sein, z. B. wenn die Sonne durch die Wolken bricht (Abb. 11). Leider kann ich dem Leser hier keinen Eindruck vom Duft der nassen Wüste vermitteln – einige Dinge muss man einfach selber erleben, aber wie ein paar Regentropfen die Blüten auf E. coccineus subsp. transpecosensis beleben (Abb. 12) oder wie ein wenig Wasser die Stacheln des E. longisetus bis an die Spitzen benetzt und dort im Sonnenlicht hell glitzernde Perlen erzeugt, das möchte ich zeigen (Abb. 13). Mehrere Reisen in diese Landschaft haben mich gelehrt, dass man seine Chancen, E. pectinatus subsp. wenigeri und E. ctenoides zu finden maximieren kann, indem man bis Mitte April wartet. Natürlich wird es Ausnahmen geben, aber dies scheint der optimale Zeitpunkt zu sein. Das erste Mal, als ich die Sierra del Carmen besuchte, war ich von der Mischung dieser beiden Taxa und E. dasyacanthus verwirrt. Dass keiner der drei in Blüte stand, verkomplizierte die Sache noch. Bis zum Ende der zweiten Aprilwoche stehen alle in Blüte. Das macht einen gravierenden Unterschied, weil Sie keine „Mumien“ mehr suchen müssen, deren Areolen so eng stehen, dass die Dornen einander überlagern. Nach dem Regen strecken sich die Pflanzen und die Blüten erscheinen und so löst sich das Problem der Identifikation in den meisten Fällen in Farbe auf. Die Bedornung von E. ctenoides und E. pectinatus subsp. wenigeri (Abb. 14) erscheint hier ähnlich, aber die Blüten des erstgenannten sind von Pflanze zu Pflanze einheitlicher und zeigen eine Übereinstimmung mit denjenigen, die man in Texas etwa bei Sanderson finden kann, während es bei den Blüten der E. ctenoides (Abb. 15) so ist wie bei den Echinocereen von Orogrande: Jede Pflanze hat eine eigene Farbschattierung! Abschließend möchte ich die dramatischsten Vorher-Nachher-Aufnahmen in Bezug auf Regenereignisse zeigen. Mithilfe der Publikation von Ulrich DOSEDAL (2012) wurde Anfang April 2014 meine Recherche in hochauflösenden Karten und seinen wunderbaren Fotografien belohnt. Der Lebensraum des E. reichenbachii subsp. burrensis lag vor meinem Auto! Das Land war sehr trocken und die Pflanzen wurden ziemlich schnell an den felsigen Hängen gefunden, aber einige waren in einem so schlechten Zustand, dass ich fürchtete, sie würden bald sterben. Kein Grün war hinter den eng verflochtenen Stacheln (Abb. 16) zu sehen, dennoch gediehen kleine Sämlinge im Schutz der höheren Felsen. Die Triebe der E. coccineus subsp. transpecosensis waren ganz faltig. E. carmenensis blühte wie erwartet, aber das, was wir nicht erwartet hatten, war ein hier ebenfalls blühender E. blumii. Dies war der dritte Lebensraum, in dem ich diese Art zu sehen bekam, damit scheint sie in dieser Region doch weiter verbreitet zu sein. Da einige der E. reichenbachii subsp. burrensis erst kleine Knospen trugen, erschien es logisch zu glauben, dass wir vielleicht zwei Wochen zu früh waren. Im Jahr 2015 besuchte ich das Habitat am 16. April erneut und als der Wagen um eine Ecke bog, konnte ich die Pflanzen in Blüte zu sehen und fast aus dem Auto heraus Fotos machen! Oben auf dem Hügel blühten eine Menge Pflanzen und es war ganz deutlich das Grün der Körper und das neue Wachstum zu sehen (Abb. 17). Es kostet Überwindung, diesen wunderbaren Lebensraum zu verlassen, wo er doch so viele Echinocereen beherbergt, aber ich tue dies stets in dem Wissen, dass ich fast sicher zurückkehren werde (Abb. 18). Umso lieber, nach einem Regen!