Leserbrief zu Echinocereus relictus Wellard: Zusammenfassung der Erstpublikation in Echinocereenfreund 31 (1): 3–9 2018 Gottfried Unger Ich finde es mehr als problematisch, wenn man einer natürlichen Pflanzenpopulation nur aufgrund ihrer Ploidiestufe einen eigenen Artstatus einräumt. Wenn man das schon macht, sollte man es wenigstens auch sehr eingehend begründen. Der Begriff der Polyploidie ist ja etwas ziemlich Kompliziertes und Vielschichtiges. Er umfasst viele verschiedene Unterkategorien und ist für sich selbst nur ein Teil der vielen möglichen Genommutationen. Selbst in einzelnen Gewebezonen können angeblich abweichende Polyploidiegrade auftreten. So sollen etwa die Brennhaare von Urtica membranacea Poiret [1789] (Geschwänzte Brennnessel) sogar 256-ploid sein. In der Pflanzenzüchtung ist die künstliche Polyploidisierung eine sehr wichtige Technik. Aber man hat nie davon gehört, dass deshalb neue Arten entstanden wären. Warum auch sollte eine autotetraploide Population, die die gleichen Chromosomen – nur in einem doppeltem Satz gegenüber ihrer Schwesterpopulation – besitzt, so grundverschiedene Eigenschaften zeigen, dass sie deshalb einen eigenen Artstatus braucht? Denkbar wäre das vielleicht dann, wenn gleichzeitig Art- oder Gattungskreuzung dazukäme (Allopolyploidie). Bei Autopolyploiden sprechen die Pflanzenzüchter jedenfalls kaum anders als von „Formen" einer Art. Auch die botanische Taxonomie hat für solche Fälle genügend infraspezifische Rangstufen zur Verfügung, um dem zu entsprechen und handhabt dies in der Praxis auch gewöhnlich so. Die Kakteen verdienen dabei wirklich keine Ausnahme! Mir scheint es im Interesse aller zu liegen, jede unnötige Artenvermehrung zu vermeiden. Auch wenn der „relictus" ein Vorläufer des „engelmannii" ist, hat er damit nicht automatisch den Anspruch auf einen Artrang in taxonomischer Hinsicht. Selbstverständlich ist die Klärung der Ploidiestufen von Wildpflanzen eine ganz wichtige, mühsame und sehr verdienstvolle Arbeit der Botanik. Das will ich hier durchaus nicht bestreiten! Alle Auswirkungen auf die Taxonomie sollten dabei jedoch wirklich gewissenhaft geprüft und insbesondere dort, wo bereits der Name einer verwandten Art vorhanden ist, sollte genau erwogen werden, ob man wirklich immer gleich eine neue Art ins Leben rufen muss oder vielleicht doch mit einer infraspezifischen Rangstufe auskommen könnte.